MAIL vom 8. September 2008
Wien, 8. September 2008, spät Nachts
Liebe Kati,
was soll ich dir sagen - heute Punkt 9 Uhr dong-dong-dong die Kunsttrans-Männer bei mir - gleich oben an der Wohnungstür geschabt.
Und ich zuvor unzählige Handy-Weckrufe weit weg verstreichen lassen, dachte, die Jungs kämen sowieso später.
Nein.
Und so sah ich dann auch aus...
Zum Glück immerhin angezogen gegen 4 Uhr morgens einfach so auf´s Bett gefallen.
Vollkommen erschöpft, aber glücklich.
Gut, wenn die Collagen jetzt auf die Wege ins ESSL-Museum kommen.
5 große Kartons, 2 kleinere. Insgesamt ca. 40 Arbeiten. 7 short-pornos und über 30 neue Collagen.
Mir ist heute, als hätt ich seit langem wieder einmal "frei".
Fühlt sich gut an, daß alle Bilder weg sind, sich bewegen - außerhalb meines eigenen Umfelds hier.
Gut, wenn´s irgendwann passiert! Auch endlich wieder an ´was anderes denken können. Bis zur großen Ausstellung am 13.November ist ja noch viel zu tun.
Aber wem sag ich daß...du tust soviel für mich, oft auch ganz knapp, wenn ich wieder mal anrufe und sage: Hilfe Kati und alles ganz schnell - und - was ist "ein pdf"? Und dir dann wieder Sachen doppelt schicke und auch noch ganz stolz bin...
Nach all den Zetteln und Collagen aber erstmal - Wäsche-waschen, Fischköpfe und Kartoffeln einkaufen, Visitenkarten drucken lassen, lange mails schreiben, aufräumen, auf die Leiter steigen und die ärgsten Spinnweben beseitigen, Weinachtsgeschenke besorgen...Scherz!
Hab gestern, also heute Nacht die Collagenpakete für Kunsttrans mit eigener Muskelkraft zusammengepackt, geschnürt, gezerrt - will sagen - buchstäblich niedergerungen. Riesige Kartons gedreht und gedreht nach allen Seiten, festgehalten, und gleichzeitig irgendwie Paketband drumherumgewickelt. Gottseidank hatte ich wirklich alles, was ich zum Verpacken brauchte - und daß ist nicht wenig - drüben im Container bei M gefunden. Feinste Kartons, jede Menge Packpapier. Noppenfolie und Würgeband hatte ich noch.
Dann am Ende alles hier auf einem Haufen, wie bei einem Umzug. Und beigott, ich nicht mehr von dieser Welt, mit abgefallenen Armen danach lange auf der Couch wie tot.
Meine ganze Kreativität, mein Einkommen, mein ganzer Stolz IN diesen 7 Kartons, da vor mir. Was für ein langer Weg bis hierher, Wahnsinn. Wurde beinahe fromm. Nah dran, die Pakete zu umarmen. Jedenfalls verabschiedete ich sie innerlich mit großem Respekt und sagte - hey ihr Süssen, wir sehen uns im Museum wieder! Wow!
Auch du und alle anderen außer Pilo, der die Collagen fotografierte, werdet die Bilder erst bei der Ausstellung sehen! Bin wirklich gespannt, wie sie euch gefallen.
Aber, bevor alles auf die Reise gehen konnte - gestern Abend - will sagen - heute morgen - ENDLICH MEIN MASTERPIECE!!!
Eine letzte Collage, die ich unbedingt noch mitschicken wollte - und die ich bereits - obwohl noch gar nicht gemacht - in alle Listen eingetragen hatte!
Titel:
"DIE BEIDEN BUDDHA-STATUEN VON BAMYIAN KURZ VOR DER ZERSTÖRUNG DURCH DIE TALIBAN AM 12. MÄRZ 2001"
Schon vor längerer Zeit - also in diesen Arbeitsmonaten damit begonnen. Aber ich kriegte das Ganze nicht hin, wie es sein sollte, ich fühle - sehe aus den Augenwinkeln heraus ganz genau, ob es so paßt oder nicht, aber das war hier noch nicht der Fall.
Nun hatte ich das Bild aber schon geklebt und 2 Wochen lag es neben einigen anderen hier am Boden. Stieg beim Herumlaufen immer wieder ein bischen drauf - sehr liebevoll natürlich - um ein Gefühl dafür zu kriegen, was ES ist - was fehlt und noch nicht paßt.
So ging es wochenlang.
Und dann bei allen Göttern, träumte mir nach einiger Zeit in tiefster Nacht DIE Lösung.
Die fing beim "Himmel" an, der kaum vorhanden war. Im Traum sah ich richtig satten, dunkelblauen, afghanischen Hindukusch-Himmel. (An dem können die Drecks-Taliban nichts ändern, gar nichts. Wohl das einzige, auf daß sie und andere Despoten keinen Einfluß haben)
Den Himmel, die Felsen, die beiden Höhlen, mußte ich anders setzen. Viel höher hinauf, um die Imposanz der beiden Figuren sicht- und fühlbar zu machen. Der braune Fels war nicht groß genug für das Bildausmaß. Also weg damit. Ich hatte doch all dieses Verpackungsmaterial bei M aus den Papiercontainern gezogen...und da gab es dieses graue, weiche, zerknitterte Papier. Auf einen Schlag klar, dieses für die Unterseite des Bildes zu verwenden. Steinige Landschaft, Fels, wie sie in Bamyian tatsächlich vorkommen.
Kurzum, ich setzte den Wasserkessel auf und löste über kochendem Dampf die ganze Collage noch einmal ab, um sie ganz neu wieder aufzubauen.
Es war nicht einfach, diese großen, weichen Papierflächen zu kleben. Schaffte es vorsichtig mittels Streichmesser, drei Tuben Klebstoff zu verteilen. Jetzt waren Landschaft und Felsen fertig. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl!
Absolute Klarheit. Alles RICHTIG, Lösung im Traum, ich neu an die Arbeit und ES funktionierte! Danke Traum!
Natürlich setzte ich auch die beiden Höhlen neu, in denen die wunderschönen Buddhas jahrhundertlang "überlebt" hatten, als der Buddhismus in diesem faszinierenden Land Religion war und nicht ein böser, verquerer Fundamentalisten-Islam.
Im Gegensatz zum 1. Entwurf, klebte ich die Höhlen so aneinander, daß sie sich berühren. Anschließend die kleinere Buddha-Statue in ihre Nische, dann die Größere.
Vom braunen Papier gab es noch 2 Streifen und diese wurden zu einer Art Bühne für die zuschauenden Taliban, die ich wiederrum in 2 Reihen "antreten ließ" - um bei dem schrecklichen Spektakel zuzusehen.
Aber wie sollten diese "Taliban" aussehen - wie sie sichtbar machen? Was konnte ich dafür verwenden?
Schwarze Köpfe/Hüte aus meinem Fundus bitteschön.
Ganz links an den Rand der Taliban-Bühne legte ich ein getrocknetes, militärgrünes Blatt. Ein Stück davon ist abgebrochen.
Hoch aufgerichtet symbolisiert es mir diese ganze kaputte, kranke "Männlichkeit" dort.
Aber dann kam das Schlimmste: ich mußte den beiden Buddhas "Sprengschnüre" um den Hals legen, was mich wirklich furchtbar aufregte. Ich mochte es nicht tun - mußte es aber! Also rasch hinter mich bringen. Jetzt konnte ich sie am Körper nicht anbringen, wo ich wollte, weil die Schnur nicht hielt, das heißt, ich mußte sie versetzen! Im Kleinen so arbeiten, wie die Taliban seinerzeit in Wirklichkeit: ganz genau überlegen, wo den Sprengstoff anbringen, um beim Zerstören die größtmögliche Wirkung zu erzielen - die beiden Statuen garantiert mit einer Sprengung zu zerstören. Damit die Dreckskerle in amerikanischen Jeeps möglichst schnell wieder zurück ins vom Westen finanzierte Fußballstadion von Kabul rasen können, um dort weiter Frauen und Männer zu erschießen, Arme und Hände abzuhacken.
Dieses Lunten anzubringen war eine grausame Arbeit für mich. Ich glaube, die schwerste an einer Collage bisher überhaupt.
Eine wickelte ich um den Kopf der kleineren Statue, weil es sich vom Papier her so anbot. Ein grauenhaftes Gefühl! Fast nicht auszuhalten. Mußte die Sprengschnur nach einer Weile vom Hals entfernen, so beklemmend war der Anblick. So schrecklich mein Gefühl. Mit größerer Mühe brachte ich sie an einer anderen Stelle an. Auch noch schlimm genug!
Wünschte, daß ich so ein Bild niemals hätte machen müssen! Nie!
Aber auch nicht "Srebrenica", "Strange Fruit Forest", "Knieende Frau im Fußballstadion von Kabul",
"we die silent an slow",
"2 rifles in American cornfield", "Massenzeltlager chinesischer Wanderarbeiter/innen am begradigten "Gelben Fluß", "Stalingrad" "Hofburgbalkon am Anschlußtag 1938"...
Sehr berührend für mich bei der Collage aber der letzte Schritt: das Anbringen einer getrockneten Blüte: Keine gewöhnlichen Blüte, nein. Denn das zarte, kleine Ding hat die Form eines weiblichen Geschlechts.
Klebt das phallische Blatt links ganz unten im Bild so setzte ich die WEIBLICHE oben rechts IN den Felsen hinein. Es ist von Stein umschlossen, während das männliche frei in die Luft ragt.
Noch.
Hommage an alle Frauen Afghanistans, die unglaubliches ertragen müssen - und noch unglaublicheres leisten.
Es ist da, dieses Weibliche - wenn auch eingeschlossen, eingeschränkt, buchstäblich eingemauert.
Und wirkt in Afghanistan zu großen Teilen im Verborgenen. Frauen besuchen einander heimlich, um in Büchern zu lesen, sich gegenseitig zu unterrichten - schminken, lachen, unterhalten, einfach Spaß haben, Musik hören - ohne Verschleierung im Gefängnis der Burka.
Dabei erwischt werden kann den Tod bedeuten. Zumindest Mißhandlungen durch Taliban.
Es gibt mutige Frauen aus allen Schichten, die sich trotzdem in die Öffentlichkeit wagen. Sie gründen Mädchenschulen, behandeln Kranke, sind Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Lehrerinnen, Journalistinnen, Autorinnen.
Aber meine Hochachtung gilt vor allem jenen Millionen Müttern, die unter unwürdigsten und schlimmsten Bedingungen alle Tage ihr Leben - und daß ihrer Kinder und Familien organisieren müssen.
All diesen Frauen und auch vielen mutigen Männern in Afghanistan gehört mein ganzer Respekt. Für sie steht diese Collage, zusammen mit einigen anderen, die ich zum Thema Afghanistan bereits gemacht habe.
Da lag es nun, dieses Bild, das mich mehr als alle anderen beschäftigt hatte - ganz unschuldig, still und schön.
Es war von Unmengen Klebstoff sehr feucht, schließlich ich hob es vorsichtig auf, legte es im Bad auf eine glatte Fläche - und fönte es trocken!
Was für ein Glücksgefühl, nach all den Wochen! Hatte fast nicht mehr daran geglaubt, es termingerecht fertigstellen zu können. Aber mir war klar, daß es unbedingt in die ESSL-Ausstellung mußte!
Zum guten Abschluß schrieb ich mit Bleistift noch Titel und Datum drunter.
"DIE BEIDEN BUDDHA-STATUEN VON BAMYIAN KURZ VOR IHRER ZERSTÖRUNG DURCH DIE TALIBAN AM 12. MÄRZ 2001"
B.Vögel, 8.9.2008
Saß dann im Morgengrauen noch eine ganze Weile davor. Alles ganz still um mich herum - mir war, als könnt ich schweben.
Bald mußte ich es aber einpacken, weil es in wenigen Stunden abgeholt und ins Museum gebracht wurde.
Und als dies alles getan war - das gefönte Bild eingepackt, wußte ich: ich bin fertig, das war´s. Keine Collagen mehr in den nächsten Wochen. 2 Monate hatte ich jede Nacht bis zum frühen Morgen gearbeitet. Den ganzen Sommer hindurch.
Eine schöne Zeit, muß ich schon sagen. Eigene Rituale. Arbeiten, Pausen, draußen herumstiefeln, Besorgungen machen - Papier, Klebstoff, ´was zu Essen. Und dann ein paar Cent zusammen kratzen und als high-light bei "Mokka Abdul" am späten Nachmittag Türkischen Kaffee trinken unter der orientalischen Markise. Mein Manna in der Wüste. Tagebuch schreiben, das Leben genießen - dazu blaue Stunde - Himmel und Wolken in rosa-violetten Streifen, auf denen ganz groß SEHNSUCHT draufsteht. Warmer Wind, Wüstengerüche und supergutaussehende Männer und Kellner um einen herum.
Dann wieder von 8 Uhr Abends bis 4 Uhr am Morgen ohne Unterbrechung weiter arbeiten.
Oh ja, meine Collagen "sehen" viele Nächte, "hören" sehr viel Stille.
Aber jetzt - verschließ ich den Klebstoff, leg Pinsetten und Stifte weg, ordne alles noch ein bischen - und leg mich hin.
Ich weiß, daß ich am Ende bin mit meiner Arbeit.
Jedenfalls für JETZT.
Ein bischen traurig.
Und dir liebe Freundin, danke ich einmal mehr für alles. Deine Arbeit für mich und wie du sie machst. Dein Stil, deine Ideen und Vorschläge - großartig!
Umarmung und bis bald,
Buddha-Barbi
© Barbara Vögel